Sonntag, 19. Juni 2011

Training in Freiberg

Einer meiner Trainingspartner, Rico Fuchs, studiert in der schön gelegenen Stadt Freiberg. Nicht zufällig begab ich mich also vergangene Woche mit zwei weiteren Mitgliedern unserer Gruppe in diese sächsische Universitätsstadt. Als Sahnehäubchen sollte unserem gemeinsamen Training dort wunderbares Wetter aufgesetzt werden.

Ausgangspunkt unseres Keiko bildete die Kata Kankū, der wir Sakugawa no Kon folgen ließen. Im Partnertraining nutzte ich die Anfangsbewegung aus Kankū, den Tsuki no Maru, um die Verbindung zwischen Kata und Kumite zu festigen. Selbstverständlich meine ich damit nicht, daß wir uns dem „Bunkai“ hingaben. Nein, wirklich nicht!


Vielmehr hilft diese Bewegung beim Finden und Einstellen des „Karate-Körpers“, wie es Harada Sensei nennt. Dabei gibt es unglaublich viel zu beachten und auszufeilen und falsch zu verstehen. Einziger Ausweg: Üben, Nachjustieren, Um-die-Ecke-denken, weitertrainieren…

Hinzu kam, darauf aufbauend, schließlich noch die Problematik des Einschlagtimings. Karate-Körper und Timing sind zwei Elemente für eine wirksame Technik. Alles in allem sehr viel Stoff und doch nur ein Bruchteil unseres Lehrgebäudes.

Anbei ein, zwei Bilder, die einen kleinen Eindruck von unserem Keiko in Freiberg vermitteln.

Motiviertes und intensives Training!

© Henning Wittwer

Freitag, 10. Juni 2011

Osae

Jedes Training – selbstverständlich auch das Karate-Training – steht auf einer theoretischen Basis. Technische Fertigkeit (Waza) beruht im Karate ebenso auf einer theoretischen Basis. Das Verständnis einer solchen theoretischen Basis ist sehr hilfreich, wenn es darum geht, technischen Irrwegen und Sackgassen aus dem Weg zu gehen. Und fraglos hilft es auf die eine oder andere Weise bei der eigentlichen körperlichen Umsetzung.

Auf meinen Karate-Wanderungen stellte ich fest, daß alle der besseren japanischen Sensei ein solches theoretisches Gerüst im Hinterkopf hatten. Einige hielten sich nur daran, ohne es in Worte zu fassen. Andere hielten sich daran und versuchten, es gleichzeitig in verbaler Form zu vermitteln. (Ich formulierte die letzten Sätze so, weil es leider auch Leute gibt, die vor allem in der Theorie zu Hause sind. Aber das ist ein anderes Thema…)

Nun ist ein ziemlich wichtiger Punkt der der Krafterzeugung, die Frage also, wie bekomme ich Bums! hinter meine Waza. In den Shōtōkan-Richtungen existiert dafür in der Theorie eine schlicht klingende, öfter zu hörende Formel: „Druck zum Boden.“ So oder ähnlich wird diese Theorie in Worte gefaßt. Noch kürzer ist Osae.

Obwohl nun Lehrkräfte scheinbar aller Shōtōkan-Gruppierungen diese Theorie als Lehrsatz gebrauchen, unterscheidet sich die körperliche Umsetzung von Sensei zu Sensei. Oder sie unterscheidet sich von Gruppierung zu Gruppierung. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die den Unterschied ausmachen, doch er ist vorhanden.

O.k., hier taucht ein Problem auf. Ich borge mal schnell das Klischeebild vom „leeren Becher“. Wie viele Karateka gingen oder gehen mit einem wirklich „leeren Becher“ in das Training eines fremden Sensei? Eben! Häufig sind starrsinnige oder unbeholfene Ignoranz und Besserwisserei die liebgewordenen Begleiter im Training, in jedem Training…

Wer nicht in der Lage ist, zuzusehen, hinzuhören, zu verstehen, nun, dem werden technische Unterschiede, ganz zu schweigen von technischen Feinheiten, ganz einfach nicht klar werden.

Gerade bei der Krafterzeugung im Shōtōkan-Ryū – „Druck zum Boden“, „Druck mit dem hinteren Bein“, „Osae“ usw. – gibt es viele kleine Unterschiede. Im Fall einer bestimmten Vereinigung sind die Gelenke sehr stark involviert. Und Überraschung: Ältere Sensei dieser Vereinigung laufen mit Hüft- und Knieproblemen durch die Karate-Welt. In einem anderen Fall läuft Osae eher über den bewußten Einsatz bestimmter Muskeln. Die genauen Unterschiede schriftlich zu klären, ist nicht möglich. Wichtig finde ich jedoch, daß diese Unterschiede ins Bewußtsein rücken müssen. Wer sie kennt, der weiß (jenseits gestueller Unterschiede) ziemlich rasch, aus welcher Shōtōkan-Richtung ein fremder Karateka kommt. Wer sie kennt, der kann zielorientiert trainieren, ohne sich von solchen Unterschieden verwirren zu lassen.

Beim Kata-Training wird ziemlich deutlich, wer mit Osae vertraut ist und wer nicht. Ein Anzeichen ist z.B. die Fußaußenkante oder die Ferse. Befindet sich eine von beiden in kritischen Augenblicken in freier Schwebe, dann kann kaum von echtem Verständnis oder Einsatz von Osae gesprochen werden.

Kurzgefaßt ist es sinnvoll, folgende Punkte zu bedenken:

  • Weiß ich etwas von „Osae“?
  • Verfügt mein Trainer/Lehrer/Sensei über Osae?
  • Kann er es vermitteln?
  • Bin ich mir über Unterschiede im klaren?
  • Kann ich es praktisch umsetzen?

Für den Sport-Karateka sind sowohl diese Fragen, als auch die entsprechenden Antworten bedeutungslos. „Krafterzeugung“ ist für ihn eher unwichtig. Im Budō-Karate dagegen sind diese Fragen grundlegend wichtig und die individuellen Antworten geben Auskunft darüber, wohin mich mein Keiko führt und ob es mich überhaupt irgendwohin führen kann.

© Henning Wittwer