Montag, 20. Dezember 2010

Artikel über das Konzept des Kiai von Harada Mitsusuke Sensei

In Ausgabe 6/2010 des deutschen Karate-Magazins „Toshiya“ wurde ein Artikel meines Karate-Lehrers, Harada Mitsusuke Sensei, veröffentlicht. Die deutsche Übersetzung stammt von mir. Im Vorfeld haderte ich ziemlich mit mir selbst, ob es überhaupt Sinn macht, seinen Artikel auf Deutsch zu veröffentlichen. Am Ende – wie nun jeder sehen kann – entschied ich mich dafür, nicht zuletzt, weil er mir bei der Übersetzung zur Seite stand und nichts dagegen hat.

In all den Jahren seiner Karate-Praxis schrieb er weder ein Lehrbuch, noch produzierte er einen Lehrfilm. Daher stellt dieser Text eine kleine Besonderheit dar.

Im Artikel erläutert Harada Sensei Hintergründe und Zusammenhänge zum Konzept des Kiai. Ich denke, seine Ansichten zu dieser Frage werden durch diesen Text klar, auch wenn die praktische Komponente natürlich nicht vollständig in Worte gefaßt werden kann...

Auf jeden Fall freue ich mich darüber, daß sein Artikel in deutscher Sprache herausgegeben wurde und möchte mich dafür bei Marié Niino von „Toshiya“ bedanken.

Update 2018: Funakoshi Gichin Sensei schrieb in den 1930er Jahren eine ausführliche Abhandlung über das Konzept des Kiai im Karate. Meine vollständige und kommentierte Übersetzung ist nun in Band III zu finden.

© Henning Wittwer

Freitag, 10. Dezember 2010

Fudō-Dachi: Ein Markenzeichen des Shōtōkan

Im historischen Shōtōkan wurde einige technische Anpassungen durchgeführt. Diese schlugen sich auch in der Gestik der Kata des Karate-Dō Shōtōkan-Ryū nieder. Hier möchte ich kurz über Veränderungen schreiben, die den Fudō-Dachi (in der JKA-Terminologie auch „Sōchin-Dachi“) betreffen.

In der Ten no Kata ist Fudō-Dachi der hauptsächliche Stand, vor dem Zenkutsu-Dachi und dem Kōkutsu-Dachi. Aber diese Kata wurde damals neu zusammengestellt. Übe ich heute also Ten no Kata, scheint es auch für andere Karateka normal zu sein, wenn ich dabei Fudō-Dachi benutze. Schließlich gehört er traditionell zur Ten no Kata.

Etwas anders ist die Wirkung, wenn ich z.B. eine Heian-Gata trainiere und dabei Fudō-Dachi gebrauche.

Funakoshi Yoshitaka Sensei wird nachgesagt, daß er die herkömmlichen Kata auf Praxisbezug hin untersuchte. Dies hatte unter anderem zur Folge, daß er den Fudō-Dachi an verschiedenen Stellen der Kata einsetzte. Manchmal ersetzte er einen Kōkutsu durch den Fudō-Dachi. Und manchmal wechselte er einen Zenkutsu mit einem Fudō-Dachi aus.

Mündlichen Zeugnissen zufolge bevorzugte Yoshitaka Sensei den Fudō-Dachi wegen seiner Tauglichkeit im Kumite. Und wie z.B. Ten no Kata Ura zeigt, lehrte er den Einsatz dieses Standes im Kumite. D.h. er wurde sowohl in Solo-Kata, als auch im Kumite trainiert.

Tatsächlich wurde der Fudō-Dachi also zu einem Markenzeichen des Karate aus dem historischen Shōtōkan.

Dummerweise konnten nur Leute, die in jener Zeit im Shōtōkan-Dōjō trainierten, diese Neuerungen wahrnehmen und gegebenenfalls übernehmen. Also findet sich der Gebrauch des Fudō-Dachi in den Kata und im Kumite heute eher nur in Übertragungslinien, die direkt auf den historischen Shōtōkan zurückgehen. Dies ist der historische Grund dafür, daß mein Karate-Lehrer den Fudō-Dachi betont. Über die technischen Gründe schreibe ich vielleicht später mehr.

Als kleine Schlussbemerkung folgende Hinweise: Ausführlicher zu den historischen Hintergründen dieser technischen Veränderungen äußere ich mich in meinem Buch. Technische Variationen des Fudō-Dachi beschrieb ich in einem Artikel, den Sie im Karate-Magazin „Toshiya“, Ausgabe 4/2008, finden.

(Update 2015: „Toshiya“, Ausgabe 4/2008, ist vergriffen. Mein Artikel findet sich etwas erweitert in „Karate. Kampfkunst. Hoplologie“.)

© Henning Wittwer

Montag, 6. Dezember 2010

Kata „normal“ & Kata „anormal“

Trainiere ich eine bestimmte Kata wie vorgesehen als Grundlage des Karate, dann folge ich einem vorgegebenen Ablauf. Das Enbusen, die Reihenfolge der Gesten und – ganz klar – die Anzahl der Gesten sind also bereits vorher festgelegt worden. Durch diese Festlegungen oder Formalisierungen („Kata“ meint ja letztlich nichts anderes als „Form“) ist es leicht, sich eine bestimmte Kata einzuprägen und sich beim nächsten Training an sie zu erinnern. Mit der Zeit geht das dann quasi automatisch, ohne daß ich an den Ablauf denken muß. Wie wunderbar!

Durch diese formalisierte Übungsgrundlage wird enorm viel Zeit gespart und es müssen nicht ständig neue Basisdrills ersonnen werden. Dazu kommt, daß ich mich – da ja alle Äußerlichkeiten verinnerlicht sind – mehr oder weniger ganz auf die eigentlich wichtigen Punkte konzentrieren kann, nämlich die Entwicklung meines „Karate-Körpers“, den richtigen Einsatz der „Körpermechanik“, das Wie meiner Fortbewegung usw. Auf all das könnte ich kaum oder weniger gut achten, wenn ich in jedem neuen Training eine neue Art von „Kata“ zu lernen hätte. Folglich ist richtige Kata-Übung als Grundlage des Karate eine prima Sache...

Irgendwann wird das dann völlig normal.

Budō, der kämpferische Weg, jedoch beinhaltet, daß sich der Adept in den unmöglichsten Situationen erfolgreich behaupten kann. Was ist in einer kämpferischen Auseinandersetzung schon normal? Richtig, nichts! Im Idealfall kann ich Ort und Zeit und äußere Umstände eines Kampfes beeinflussen. Aber selbst in diesem Idealfall gibt es unzählige Faktoren, die nicht nach Plan laufen können oder die ich nicht beeinflussen kann. Genau aus diesem Grund finden sich in den überlieferten Lehrschriften entsprechende Erklärungen sowie Stichworte, wie z.B. Rinki-Ōhen.

Im Budō-Karate ist das Training also u.a. darauf ausgerichtet, einen Adepten auszubilden, der möglichst frei zu agieren vermag. Fraglos ist das schwierig.

Genau in diesem Sinne setzt eine Übungsvariante für das elementarste Ding im Karate, die Kata, an: das spiegelverkehrte Ausführen einer Kata. Kase Taiji Sensei nannte diese Variante „Ura“ und unabhängig davon hält es auch mein eigener Karate-Lehrer manchmal für eine gute Idee, eine bestimmte Kata auf diese Weise zu trainieren.

Die fünf Heian-Gata starten normalerweise mit einem Schritt nach links. In der anormalen Ura-Ausführung würden sie dann also mit einem Schritt nach rechts starten. Die drei Tekki-Gata starten bei normaler Ausführung mit einem Schritt zur rechten Seite. In der Ura-Version werde ich folglich spiegelverkehrt dazu jeweils mit einem Schritt nach links beginnen. So kompliziert klingt das nicht, oder?

In der Praxis ist es dann aber doch nicht so einfach. Ich erinnere mich noch gut an eine Szene, in der Kase Sensei „Kankū Dai, Ura!“ forderte und als erste Antwort lautstark „Osu!“ entgegen gebrüllt bekam. Als zweite Antwort folgte heilloses Chaos. Seit dieser Zeit glaube ich übrigens, daß „Osu“ im Karate-Slang soviel bedeutet wie: „Ich habe keine Ahnung, worum es geht!“...

Jedenfalls zeigte sich da sehr deutlich, daß freies Agieren und Anpassungsfähigkeit trainiert werden müssen und nicht bei jedem vorausgesetzt werden können.

Abgesehen davon gibt es zwei weitere Gründe, die für das Ura-Training der Kata sprechen. Einige Kata, wie Enpi oder Bassai, sind sehr einseitig. Damit meine ich, daß sie für Rechtshänder gemacht sind und explizit Bewegungen aus der Linksauslage (Normalauslage) – um mal Boxervokabular zu nutzen – schulen. Einem Linkshänder hilft also die normale Ausführung der Kata zum Üben seiner eigentlichen Auslage, seiner starken Seite, wenig.

Schließlich darf nicht vergessen werden, daß Funakoshi Gichin Sensei die Leibeserziehung (Taiiku) als einen Wert seines Karate nannte. Und die sollte ausgewogen sein. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist das Training der Ura-Version einer Kata sinnvoll. Denn je öfter ich eine Kata ausführe, desto öfter trainiere ich einseitige Gesten. Z.B. führe ich bei 100 Heian Godan 100 Mikazuki-Geri mit dem rechten Bein aus, aber 0 mit dem linken Bein.

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf, trainieren meine Trainingspartner und ich immer wieder mal Kata anormal.

© Henning Wittwer

Sonntag, 14. November 2010

Aktuelles Training

Derzeit steht die Kata Jion auf meinem Trainingsplan. Jion gehört natürlich zu den 15 Haupt-Kata des Shōtōkan-Ryū. Obwohl die durch Jion geübten Bewegungen eher simpel erscheinen, erwähnt Funakoshi Gichin Sensei, daß diese Kata nicht so leicht greifbar ist. Das ist kein Widerspruch. Besonders scheinbar einfache Bewegungen gelten schnell mal als „gemeistert“ und werden als „langweilig“ abgehakt. Doch es sind oft die einfachen Dinge, die wirksam sind, vorausgesetzt ich beherrsche sie tatsächlich...

Ich habe mich entschlossen, auch in nächster Zeit Matsukaze no Kon als Stock-Kata zu trainieren. Wie ich schon mal schrieb, gehört sie zu meinen Lieblingen. Unter anderem liegt das an der Struktur dieser Kata.



Abgesehen von meinem Privattraining beschäftigen wir uns gegenwärtig u.a. mit Kumite zur Kata Bassai. Gewöhnlich dehnt sich das über einen längeren Zeitraum aus. Das liegt nicht nur daran, daß dies sehr interessant ist, sondern auch an dem riesigen Berg der zu trainierenden Punkte.

In diesem Sinne wünsche ich motiviertes und intensives Training!

© Henning Wittwer

Montag, 8. November 2010

Training oder Keiko?

Ich denke, es ist o.k. „Karate-Training“ zu sagen. Besser ist, vor allem wenn ich mich mit einem Japaner unterhalte, den Begriff „Keiko“ zu gebrauchen. Wenn ich zu einem Deutschen sage, daß ich jetzt ins Keiko gehe, wird er wohl nicht verstehen, was ich meine. Und wenn ich „Keiko“ übersetze, entsteht wahrscheinlich nicht weniger Verwirrung. „Keiko“ meint soviel wie „Altes bedenken“. Das hört sich nicht sehr schweißtreibend und spektakulär an, oder?

Beim Karate-Training bedenke ich also etwas Altes. Konkret handelt es sich dabei um die technischen Vorstellungen alter, meist schon verstorbener Karate-Lehrer. Um die technischen Vorstellungen dieser alten Sensei bedenken zu können, brauche ich jemanden, der sie mir zeigt – einen Karate-Lehrer, der von ein, zwei dieser alten, verstorbenen Sensei lernte.

Also ist für richtiges Keiko schon mal eine Übertragungslinie von einem alten verstorbenen Sensei, zu einem weiteren Sensei (der von dem ersten lernte), zum nächsten Sensei (der vom zweiten lernte) zu mir selbst nötig. So eine Übertragungslinie kann kürzer oder länger sein, je nachdem...

Dazu ist es sehr wichtig, die überlieferten Schriften der japanischen bzw. okinawanischen Sensei zu studieren, die vor mir in meiner Übertragungslinie stehen. Dadurch verbinde ich Theorie und Praxis. In meinem eigenen Fall war es sogar irgendwie umgekehrt – ich beschäftigte mich mit den alten Schriften und kam durch dieses Studium weg vom Sport-Karate, hin zu meinem Karate-Lehrer. Doch das bloß nebenbei.

Keiko, das auch Keiko genannt werden kann, ist damit eine ziemlich festgesetzte Sache. Keiko bewegt sich innerhalb eines bestimmten Rahmens. Dieser Rahmen ist durch die aktive Lehre meines Sensei und eben die erhaltenen Lehrschriften festgelegt. Ich strebe nach demselben technischen Ziel, nach dem meine Vorgänger strebten. Ich will dasselbe technische Ziel erreichen, das meine Vorgänger erreichten.

Im Keiko gibt es also keinen Grund, keinen Platz für Aktivitäten, die nichts mit dem Karate meiner Vorgänger zu tun haben. Keiko hat nichts mit planlosem, ziellosem Herumgerenne zu tun. Keiko ist nicht mal Hü, mal Hott.

Die technische Fertigkeit meines Karate-Lehrers ist das große Ziel meines Keiko, meines Trainings. Dieses Ziel kann nicht mit einem Sprung erreicht werden. Er vergleicht das mit der Entdeckung Amerikas durch die Wikinger. Mit ihren kleinen Booten wären sie nicht in der Lage gewesen, den Atlantik direkt zu überqueren. Stattdessen tasteten sie sich immer von einer kleinen Insel oder Eisscholle zur nächsten vor. Schließlich erreichten sie den neuen Kontinent. Der historische Gehalt dieser Geschichte ist hierbei egal. Die Idee ist wichtig. Das große Ziel vor Augen, setze ich mir immer ein kleines Ziel. Wenn das erreicht ist, folgt das nächste kleine Ziel.

Im richtigen Keiko spüre ich das gleiche Brennen im selben Muskel, das mein Karate-Lehrer spürt und das vor ihm seine Vorgänger spürten; ich muß dieselben Probleme lösen und in mir kommen wahrscheinlich ähnliche Zweifel auf. Und genau dasselbe gilt für meine Trainingspartner.

Dies sind die ersten Punkte, die echtes Karate-Training, Keiko also, ausmachen.

© Henning Wittwer

Sonntag, 24. Oktober 2010

Nage-Waza: Die Wurftechniken im Karate

Wer ein Lehrbuch von Funakoshi Gichin Sensei liest, der kennt sie, die Wurftechniken seines Karate. Insgesamt stellt er elf Nage-Waza vor. Nur bei sehr wenigen japanischen Karate-Lehrern lernte ich selbst ausführlicher Wurftechniken. Noch weniger lehren aktiv die elf Würfe von Funakoshi Sensei. Dafür gibt es zwei Hauptgründe, denke ich.

Einmal sind Wurftechniken nicht das Hauptziel des Karate-Trainings. Jede Kampfkunst hat ihre Spezialität. Würfe bilden nicht das Fundament des Karate. Schlagende und vor allem stoßende Techniken – egal mit welcher Körperwaffe – stellen den technischen Ausgangspunkt im Karate dar. Deshalb kennzeichnet Funakoshi Sensei sein Karate als „harte“ Kampfkunst. „Hart“ ist ein Wortspiel, das einen Gegensatz zum Jū-Jutsu verdeutlichen soll. In vielen Strömungen des Jū-Jutsu bilden „weiche“ Techniken, wie eben Würfe, den Schwerpunkt des Trainings.

Jedenfalls heißt das auf die Praxis bezogen, daß ich mich zuerst auf den Kern der von mir gewählten Kampfkunst konzentriere. Und für den ist viel, sehr viel Training erforderlich. Ein aufmerksamer und verantwortungsbewußter Karate-Lehrer wird dafür sorgen, daß genau dieser Kern gepflegt und verbessert wird. Wenn mein Tsuki schlecht ist, wird er mir helfen wollen, meinen Tsuki zu verbessern.

Der zweite Grund ist historisch gewachsen. Er hat mit der oft beklagten „Versportlichung“ des Karate zu tun. Wettkampfsport ist eine Spezialisierung. D.h. es werden nur zweckdienliche Dinge trainiert. Alles, was dem sportlichen Leitmotiv nicht entspricht, bleibt unbeachtet. Und das ist auch folgerichtig!

Auch im Sport-Karate gibt es vereinzelt Wurftechniken, wie den weithin geübten Ashi-Barai. Aber eine Vielzahl der im Karate gelehrten Würfe taugt nicht so richtig für ein sportliches Format. Dadurch wurden und werden sie seltener trainiert. Das führte wiederum zum Vergessen dieser Nage-Waza.


Nun haben die im Karate-Dō Shōtōkan-Ryū gelehrten Nage-Waza ein paar Eigenarten:
  • Funakoshi Sensei gab ihnen manchmal nüchterne, häufiger blumige Namen. Bei diesen Namen muß beachtet werden, daß sie im Shōtōkan-Ryū für je eine bestimmte Technik stehen. Dieselbe Technik kann in einer anderen Kampfkunst einen ganz anderen Namen tragen. Oder es gibt in einer anderen Kampfkunst dieselbe Bezeichnung, aber hinter ihr verbirgt sich eine völlig andere Technik.
  • Er klassifizierte die einzelnen Würfe nicht, wie es beispielsweise im Kōdōkan Jūdō der Fall ist.
  • Gewisse Wurftechniken werden traditionell mit einer bestimmten Kata in Verbindung gebracht, wie z.B. Tekki Shodan oder Bassai.

  • Dem eigentlichen Wurf geht fast immer ein schlagender oder stoßender Konter voraus.

  • Jede Nage-Waza soll als Konter begriffen werden. Und als grundlegender Angriff wird ein Tsuki angenommen.

  • Schließlich soll der Angriff selbst genutzt werden, um den eigenen Konter – die Wurftechnik – wirksamer zu machen.
Mit diesen Gedanken trainiere ich die Nage-Waza zusammen mit meinen Trainingspartnern. D.h. wir trainieren sie, aber sie stehen nicht im Mittelpunkt. Es ist nicht sinnvoll, Wurftechniken mit Anfängern trainieren zu wollen, die über eine schwache technische Basis verfügen. Und je seltener jemand trainieren kann, desto weniger sollte er sich um Dinge wie eben die Nage-Waza kümmern.

Im Grunde beschäftige ich mich mit eben den elf Wurftechniken, die Funakoshi Sensei lehrte. Dazu kommen ein paar Würfe, die traditionell mit der ein oder anderen Kata, z.B. Enpi, in Beziehung gebracht werden.

Nage-Waza sind nicht der Hauptinhalt des Shōtōkan-Ryū, aber sie runden Karate als Kampfkunst ab.

© Henning Wittwer

Donnerstag, 14. Oktober 2010

Hangetsu

Im Karate-Dō Shōtōkan-Ryū gibt es Leute, die Hangetsu lieben, und Leute, die Hangetsu hassen. Vertreter beider Gruppen haben scheinbar eines gemeinsam: viele offene Fragen zu dieser Kata. Als Übungsform ist diese Kata sehr sinnvoll, weil sie grundlegende technische Fertigkeiten schult. D.h. sie war und ist keine geheimnisvolle oder „hohe“ Kata.

Als erste technische Frage taucht meist der in Hangetsu geübte Stand auf. Das ist auch logisch. Von JKA-Vertretern wird ein etwas eigentümliches Ding trainiert, das den Namen Hangetsu-Dachi erhielt. Hier ist die historische Ursache für diesen Hangetsu-Dachi nicht so wichtig, es soll um technische Punkte gehen. Dabei wird von JKA-Ausbildern gefordert, daß Fußspitzen und Knie nach innen gedrückt werden – es lebe die Natürlichkeit! Vielleicht schreibe ich mal einen Artikel über all die Varianten des Hangetsu-Dachi, denen ich so begegnete.

Jedenfalls forderte Funakoshi Gichin Sensei für die Kata Hangetsu keinen Hangetsu-Dachi, sondern einen „normalen“ Zenkutsu. D.h. es werden keine Knie nach innen gedrückt und die vordere Fußspitze zeigt nach vorne. In Übereinstimmung mit Funakoshi Sensei unterrichtet mein Karate-Lehrer diesen natürlichen Stand.

Im Unterschied zu anderen Kata, werden aber in Hangetsu die Füße in einer halbmondförmigen, d.h. bogenförmigen Bahn nach vorn gesetzt. Dies ist in der Tat ein besonderes Merkmal dieser Kata. Genau diese Besonderheit führte zum Namen Hangetsu (Halbmond).

Unter den fünfzehn von Funakoshi Sensei gelehrten Haupt-Kata ist Hangetsu die einzige Kata, die Nekoashi-Dachi enthält. Der grundsätzliche Unterschied zwischen Kōkutsu-Dachi und Nekoashi-Dachi ist die frontale Ausrichtung des Oberkörpers beim Nekoashi-Dachi. Beim Kōkutsu ist der Oberkörper dagegen zur Seite ausgerichtet.

Auffällig ist der Einsatz der Faustform Ippon-Ken, die in den restlichen Haupt-Kata nicht auftaucht. Daher kann Ippon-Ken durchaus als weiteres Merkmal von Hangetsu genannt werden.

Oft herrscht auch Unklarheit über die Art und Weise während der Übung von Hangetsu zu atmen. Im Unterricht meines Karate-Lehrers gibt es diesbezüglich keinen Unterschied zur Art und Weise der Atmung bei den anderen Kata. Ich denke, dies ist nur folgerichtig. Natürlich ist das nicht überall so. Und ich lernte tatsächlich ein paar sehr unterschiedliche Arten, die Atmung in Hangetsu zu gebrauchen. Beim mit Abstand sinnfreisten Beispiel wird ein kratziges Röchelgeräusch erzeugt, welches wohl besonders martialisch wirken soll...

Das sind einige der grundlegenden technischen Punkte zur Kata Hangetsu. Ein paar weitere Hintergrundinfos finden sich hierin. Ausführlicher zur Geschichte der Kata werde ich mich demnächst hier äußern.

© Henning Wittwer

Montag, 4. Oktober 2010

Internet-Sensei

Bevor es weiter geht, sollte ich noch einen nicht ganz unwichtigen Punkt aufgreifen. Offensichtlich leben wir im Internetzeitalter, was viele Vorteile mit sich bringt. Schneller und einfacher Kontakt mit allen möglichen Personen, einfacher Zugang zu Informationen usw. Wenn ein neues bedeutendes Buch erscheint, erfahre ich das oft innerhalb von ein, zwei Tagen. Wenn ich Kampfkunst in bewegten Bildern sehen möchte, kann ich sofort Youtube besuchen und brauche nur noch auszuwählen. Es ist alles so leicht!

Aber Youtube-Clips zu sehen, Internetartikel zu lesen hat nichts mit Wissenserwerb, mit Keiko im herkömmlichen Sinne zu tun. Anstelle des tiefgründigen und langfristigen Keiko mit einem ausgezeichneten Sensei, liefert Internet-Sensei einen Überschuß an Infos. Tausende Clips, noch mehr Artikel.

Problem I – Niemand kann all diese Clips ansehen und Artikel lesen. Also kann ich bestenfalls kurze Eindrücke gewinnen.

Problem II – Woher soll ich wissen, mit welcher Sachkenntnis die jeweilige Person im Clip etwas vorführt oder im Artikel schreibt. Falle ich auf einen Anfänger rein oder schimmert da auf meinem Bildschirm ein Virtuose?

Problem III – Woher soll ich wissen, was im Clip gezeigt wird? Macht der Sensei, der berühmt und geachtet zu sein scheint, da alles richtig? Oder unterläuft ihm ein Fehler? Zeigt er es bewußt falsch vor? Ist es eine ernsthafte Übung oder nur lockeres Gemache? Welche Qualität haben die Fertigkeiten des Partners des großen Sensei?

Problem IV – Clips und Artikel sind meist nicht wirklich lang. Wie viele Erkenntnisse zum Stil des jeweiligen Vertreters kann ich dadurch ernsthaft erwerben?

Problem V – Was ist die Intention des Clips oder Artikels? Handelt es sich um Werbung für den Stil, dann dürfte im Clip alles sehr sauber und glatt ablaufen. Nichts spricht dagegen, zu Vorführzwecken Absprachen und spektakulär wirkende Effekte einzubauen. Kann ich eine abgesprochene Wirkung von einer realen Wirkung unterscheiden? Worin unterscheidet sich ein zu Reklamezwecken veröffentlichter Artikel von einem Forschungsbeitrag?

Problem VI – Meine eigene Vorbildung, meine eigene Voreingenommenheit führen zu Interpretationen des im ohnehin viel zu kurzen Clip gesehenen oder Artikel gelesenen Stoffs. Besonders Personen, die schon etwas länger einer Kampfkunst nachgehen, neigen dazu, Erfahrungen aus ihrem Training zu verallgemeinern. Selbstverständlich fühle ich mich dann bestätigt, wenn der tolle Sensei im Clip vermeintlich das gleiche macht, was ich zu  kennen glaube.

Problem VII – Durch die rasante Wissensverbreitung (kopieren, stehlen), finden sich Ideen, Theorien oder Konzepte sehr schnell an vielen Ecken und Enden des Internets. Und je häufiger Internet-Sensei die gleiche Theorie ausspuckt, desto richtiger muß sie ja sein, oder nicht?

Es gäbe noch weitere Probleme aufzulisten, aber ich denke, diese hier reichen. Ich selbst sah einen Clip im Internet, in dem ich als Partner meines Karate-Lehrers fungiere. Selbstkritisch fielen mir natürlich gleich meine Fehler auf. Wüßte ich nicht, was mein Sensei da macht, hätte ich keine Chance, es durch den Clip zu verstehen. Mit diesen Erkenntnissen ausgestattet, werde ich mir nie ein abschließendes Urteil über den Inhalt eines Internet-Clips erlauben.

Tiefgründiges, längerfristiges Keiko war die einzige Möglichkeit, tatsächlich Können und Wissen im Budō zu erwerben. Und das ist auch im Internetzeitalter noch so. Nur echter körperlicher Kontakt erlaubt mir echte Rückschlüsse auf die Qualität einer Kampfkunst.

Internet-Sensei brachte übrigens auch menschliche Schüler hervor. Ungeachtet all der oben genannten Probleme, saugen sie auf, was Internet-Sensei hergibt und verbreiten diese so erworbenen „Dinge“ ihrerseits als menschliche Internet-Sensei unter gutgläubigen Mitmenschen. Doch das nur am Rande.

Tatsächlich ist auch mein Blog hier nichts anderes als ein Teil des Internet-Sensei. Er zeigt nur kleinste Scheibchen einer Sache und darf bitte nicht mit echtem Keiko verwechselt werden. Was das Internet auf jeden Fall kann, ist zu zeigen, daß Budō ein weites und buntes Feld ist.

© Henning Wittwer

Mittwoch, 29. September 2010

Neuer Trainingsschwerpunkt

In nächster Zeit dreht sich mein privates Training hauptsächlich um die Kata Enpi, Jitte und Matsukaze no Kon. Im Karate-Dō Shōtōkan-Ryū ist Enpi als Kata des Shōrin-Fū und Jitte als Kata des Shōrei-Fū klassifiziert. Hier soll erstmal der Hinweis reichen, daß es dadurch zu inhaltlichen Unterschieden zwischen beiden Kata kommt.

Durch Enpi übe ich immer in derselben Auslage u.a. flüssiges Oi-Komi, ganz klar ein besonderes Merkmal der Shōtōkan-Strömung. Jitte eignet sich sehr gut zum Ausbauen einer zuverlässigen Körperstruktur – und zwar auf allen drei Stufen, Jōdan, Chūdan und Gedan.

Matsukaze no Kon ist natürlich d i e Stock-Kata des Shōtōkan-Ryū schlechthin. Übe ich diese Kata, spüre ich das Genie des Waka-Sensei, Funakoshi Yoshitaka. Anders als Enpi, ist Matsukaze no Kon sehr synchron. Das sind zwei Gründe, weshalb ich sie gerne trainiere.



Jedenfalls ist bei allen drei Kata mein Hauptaugenmerk auf eine natürliche Ausführung gerichtet. Je natürlicher ich mich bewegen kann, desto effizienter werden meine Techniken. Aber schon die erste Bewegung der Kata Enpi bildet eine kleinere Herausforderung, was den Punkt der Natürlichkeit betrifft. Wichtig ist in solchen Fällen, so simpel es klingt, zuerst das Erkennen des Problems. Danach kann nur ein konzentriertes Keiko Abhilfe schaffen. Das gilt selbstverständlich für Solo-Kata wie für Partnerübungen.


© Henning Wittwer

Donnerstag, 23. September 2010

Tsuki wa Karate no Seimei de aru.

Bei allem, was ich trainiere, geistert mir eine Maxime aus der Shōtōkan-Strömung im Kopf herum: „Der Tsuki ist das Leben des Karate.“ (Tsuki wa Karate no Seimei de aru.)

Umgekehrt bedeutet dies, daß Karate ohne dem Tsuki tot ist. Egal was ich also an Keri-Waza, Nage-Waza, Gyaku-Te usw. kenne und vor allem trainiere, ohne einen ordentlichen Tsuki bleibt es totes Karate. Untermauert wird dieser Punkt durch die Kata der Shōtōkan-Strömung. Schon Anfängern wird durch Ten no Kata, Taikyoku, Heian Shodan usw. klar,  wie der Tsuki im Karate gewichtet wird.

Im Laufe meines Karate-Lebens lernte ich viele Ansichten zum Tsuki kennen – theoretisch und praktisch. Natürlich sollte, was mich betrifft, ein Tsuki möglichst große Wirkung auf den Gegner entfalten. Ich meine, seine Einschlagwirkung sollte möglichst groß sein.

Äußerlich scheint der Tsuki eine Lappalie zu sein. Meine Faust bewegt sich ziemlich geradlinig von A nach B – klar, das kann jeder! Es ist leicht, sich einzureden, daß der eigene Tsuki wirksam ist, z.B. weil er sich „stark“ anfühlt oder weil er mit Hilfe des Makiwara trainiert wurde. Aber wie oft wird der eigene Tsuki an einem Menschen überprüft? Hält er einen heran rauschenden Partner wirklich auf?

Um es kurz zu machen – ich traf nur auf zwei, vielleicht drei Sensei, deren Tsuki mich wirklich überzeugten. Die Tsuki dieser Sensei waren wirksam, obwohl sie selbst von eher kleiner Statur waren und nicht mehr wirklich zur Jugend gezählt werden konnten. Besonders der Tsuki meines Karate-Lehrers ist über alle meine Zweifel erhaben, da ich ihn immer wieder mal in Kumite-Übungen von ihm in Empfang nehmen darf.

Für einen wirksamen Tsuki ist die Ausbildung eines ordentlichen „Karate-Körpers“ erste Voraussetzung. Dafür benötige ich zunächst nur gute Anweisungen und den Willen, diese umzusetzen. Schreibe ich von „Entspannung“, werden zehn Leser zehn verschiedene Vorstellungen davon haben, was „Entspannung“ ist. Trotzdem möchte ich kurz erwähnen, daß Entspannung – so wie sie mein Karate-Lehrer vermittelt – grundlegend für einen wirksamen Tsuki ist.

Selbstverständlich ist das nicht alles. Hinzu kommen viele weitere, bewußt zu steuernde Punkte. Für die erforderliche Körperarbeit des Tsuki reicht am Anfang Solotraining. Aber ziemlich schnell benötige ich einen Partner, der mir beim Überprüfen verschiedenster Dinge, wie Körperhaltung, Timing meiner Bewegung usw., hilft. Und bis hierhin handelt es sich nur um meine eigene Person.

Ein Tsuki erfüllt nur dann seinen Sinn, wenn er mit entsprechender Einschlagwirkung in einem Menschen landet. Also kommen für einen wirksamen Tsuki noch Faktoren, wie Abstand zum Gegner, seine Größe und sein Gewicht, Rhythmus, geistige Verfassung usw., hinzu. Somit wird klar, daß ein Tsuki nicht bloß eine banale Armbewegung ist.

Genau deshalb ist die fortwährende praktische Beschäftigung mit dem Tsuki unabdingbar. Im Grunde ist der Tsuki ständig in meinem Training präsent.

Problematisch wird es da, wo das Karate-Training selbst nur noch ein notwendiges Übel ist, um einen Grund zu haben, Bekannte zu treffen, „mal raus zu kommen“, das Ego durch bunte Gürtel oder Chef sein zu befriedigen, philosophische Gespräche führen zu können, Ablenkung und Abwechslung vom Alltag zu erhalten u.ä. Wenn da immer bloß der Tsuki ist, fehlt die Abwechslung, philosophisches Blabla wird durch das Training gestört und Chef kann ich ja wohl schlecht sein, wenn ich meinen Tsuki verbessern soll...

Für die, die wirklich trainieren wollen, ein kleiner Vergleich, den Nishiyama Hidetaka Sensei einmal bei einem Lehrgang zum besten gab:

„Ich trage ein Schwert, mein Gegner trägt ein Schwert. Was mache ich, wenn mein Gegner zwei Schwerter oder drei Schwerter oder hundert Schwerter trägt? Im Karate gibt es sehr viele Techniken, die man nicht alle anwenden kann. Man muß ein oder zwei haben, die als beendender Hieb fungieren.“

Fraglos gibt es im Karate noch viele andere Dinge zu trainieren, aber ohne einen wirksamen Tsuki, handelt es sich um totes Karate. Dementsprechend viel Zeit muß ich in sein Training investieren. Vielleicht lohnt es sich, diesen Punkt in Erwägung zu ziehen.

© Henning Wittwer

Dienstag, 14. September 2010

Aktuelles Training

Wenn ich über mein aktuelles Training oder meine derzeitigen Trainingsinhalte schreibe, dann gibt es einen Unterschied zwischen meinem privaten Einzeltraining und dem mit meinen Trainingspartnern. Klarer Vorteil des Einzeltrainings ist, daß ich mich ganz und gar auf mich selbst konzentrieren kann und genau das trainiere, was für mich notwendig ist. Klarer Nachteil des Einzeltrainings ist das Fehlen eines Trainingspartners.

Natürlich trainiere ich keine flashy Kombinationen – das, was Kombinationen am nächsten kommt, ist Inhalt meiner Kata, angefangen bei der Ten no Kata. Oft findet eine Aufsplittung in sogenanntes Kihon und in Kata statt. Für den Kihon-Teil des Trainings werden dann durch kluge Köpfe viele Gesten oder Bewegungen (Techniken) aneinandergereiht, was manchmal sehr lange Kombinationen zur Folge hat. Irgendeinen Wert hat das bestimmt. Für mein Training ist das aber eher unwichtig.

Also bleibt Kata als der Teil meines Einzeltrainings übrig, über den ich am einfachsten berichten kann. Zur Zeit stehen für mich Kankū und Sakugawa no Kon auf dem Plan. Bei Kankū laufe ich heiß. Als Übungsform ist Kankū einfach hervorragend und ich kann verstehen, weshalb Funakoshi Sensei gerade diese Kata mochte. Um Kankū als Übungsform begreifen zu können, muß man die historischen Hintergründe (ich meine nicht die Legenden) kennen. Ich beschreibe sie in meinem Buch.

Viele Gesten aus Kankū finden sich auch bei General Ch'i und der liebte den Faustkampf. Immer wenn ich Kankū trainiere, muß ich an ein Motto von ihm denken:

"Den Faustkampf nicht zu kennen,
das ist wie Donnerschlag,
ohne es zu schaffen, sich die Ohren zuzuhalten."

Schon die erste Bewegung – Funakoshi Sensei nennt das Ding Tsuki no Maru (Mondkreis) – ist äußerst wichtig. Mit dieser Bewegung stelle ich meinen „Karate-Körper“ ein. Was das ist, versuche ich so weit wie möglich, in einem extra Artikel zu erklären. Einfach ausgedrückt, handelt es sich um das grundlegendste Trainingsziel in meinem Karate.

Dazu schätze ich, daß in Kankū einfache, schnörkellose Bewegungen trainiert werden, was dem militärischen Grundsatz der Schlichtheit entspricht. Die einfachen Bewegungen sind natürlich nicht unschwer. Oder besser, sie sind definitiv lehrreich wie auch hilfreich. Eine Lektion stellen die vielen Tritte dar: eine Vorführ-Kata, eine Kata im Sport-Karate betont bei diesen Tritten jeweils das kickende Bein, das sehr hoch, schnell und mit diesem netten Schnappgeräusch bewegt werden soll. Meine Konzentration im Budō-Karate liegt im Bein, auf dem ich stehe. Ja, offensichtlich trete ich auch; doch der eigentlich wichtige Teil ist die Arbeit des Standbeins.

Sakugawa no Kon teilt sich mit Kankū sowohl die Schlichtheit als auch das tiefe Abtauchen. Für Zuschauer wird Sakugawa no Kon nach kurzer Zeit langweilig. Für mich als Trainierenden bieten die sich immer wiederholenden Bewegungen tüchtig Gelegenheit, an der Verbindung Beine-Rumpf-Stock zu feilen. Besondere Aufmerksamkeit gilt bei beiden Kata den Schultern: Entspannung...

In diesem Sinne wünsche ich motiviertes und intensives Training!

© Henning Wittwer

Donnerstag, 9. September 2010

Budō-Karate: Was soll das denn sein!?

  Karate ist nicht gleich Karate. Ich benutze den Begriff „Budō-Karate“, um mein Karate von anderen Auslegungen abzugrenzen. „Budō-Karate“ ist allerdings nicht meine Wortschöpfung, sondern sie wurde bereits in den 1930er Jahren verwendet. Dummerweise wird der Begriff „Budō“ heute in Japan sehr unterschiedlich aufgegriffen. Für mich hat er einerseits nichts mit sportlichem Vergleich, Medaillen usw. zu tun. Andererseits bezieht er sich auch nicht auf philosophisches Kauderwelsch oder spirituelle Erleuchtungszustände.

Im Blog eines japanischen Budō-Fans fand ich einen Absatz über meinen Karate-Lehrer und den Kommentar, daß sein Karate wirklich anders sei, als das, was man heutzutage so sähe. Darin vergleicht er ihn mit Mifune Kyūzō Sensei vom Jūdō und meint, daß für ihn die Art des Budō meines Lehrers und die von Mifune Sensei reizvoll sei. Doch es sei äußerst schwierig, sie zu erlernen. Er hat mit beiden Aussagen recht. Dieses Budō ist „anders“ und es kann nicht mal eben so gelernt werden.

Natürlich betreiben wir Karate und es gibt technische und inhaltliche Unterschiede zum Jūdō. Der offensichtliche Reiz aber ist die scheinbare Leichtigkeit, mit der beide Sensei ihre Trainingspartner in Kampfübungen beherrschen.

Einmal wurde ich zu einer Kendō-Prüfung in den Tōkyō Budōkan eingeladen, bei der nur Prüflinge mit dem 7. Dan anwesend waren und sich der Prüfung zum 8. Dan stellten. Ein Kendōka, dessen Name ich mal unter den Tisch fallen lasse, erklärte mir, daß er bereits 80 Jahre sei und nun schon zum fünften oder sechsten Mal zu dieser Prüfung antrat. Bisher hatte er nie bestanden (bezahlen mußte er natürlich trotzdem immer). Er wußte auch, was genau er zu verbessern hatte. Nun gibt es im Kendō nicht wirklich viele Techniken und Kata. Der zu verbessernde Punkt betraf sein Können in der Kampfübung und war sehr subtil. Würde er von einem Straßenschläger angegriffen und müßte sich mit einem echten japanischen Säbel verteidigen, dann ginge die Sache für den Straßenschläger sicher sehr blutig aus. Sein Problem bestand also nicht darin, mal eben irgendwie die Oberhand zu behalten.


Technischer Fortschritt, der bewußt gesteuert wird und nicht das bloße Ansammeln technischer Verfahren oder Kata meint, ist im Budō also bis ins hohe Alter möglich, tatsächlich sogar vorgesehen. Selbstverständlich unterscheidet sich ein so erarbeitetes Niveau erheblich vom üblichen Mittelmaß – es wäre schlimm, wenn es nicht so wäre.

Im Budō-Karate setzte ich mir ein klares, langfristiges technisches Ziel, das ich verwirklichen werde. Ich versuche es nicht nach dem Motto „der Weg ist das Ziel“ anzugehen. Ich werde es erreichen. Andernfalls würde ich meine Zeit verschwenden. Alle Übungsformen, die meinem Ziel nicht förderlich sind, interessieren mich nicht, da sie mich nur aufhalten würden. Wenn ich ein Eis essen will, gehe ich zum Eismann und nicht zur Pommesbude -  ist doch klar, oder?

Zur „Andersartigkeit“, dem bestimmten technischen Ziel und dem notwendigen Entschluß, dieses Ziel erreichen zu wollen, kommt im Budō-Karate noch das Wie des Trainings hinzu.

Ich kenne mein Trainingsziel, das durch meinen Karate-Lehrer verkörpert wird. Folglich ist er in der Lage, mir zu vermitteln, wie genau ich dieses Ziel erreichen kann. Die grundlegende Voraussetzung für das Wie klingt erstaunlich einfach: Qualität statt Quantität. Je weniger Trainingsteilnehmer, desto besser. Je weniger Ritual, desto besser. Je weniger technischer Schnickschnack, desto besser. Natürlich benötige ich einen Trainingspartner, der dasselbe Ziel ansteuert wie ich. Dann brauche ich nur noch die Anleitungen meines Lehrers umzusetzen – und genau das tue ich.

Budō-Karate lerne ich also nicht durch das Zufallsprinzip, durch Raten oder Reiten von Modewellen. Ich hoffe, daß durch diese Zeilen wenigstens etwas klarer wurde, wofür Budō-Karate steht.

© Henning Wittwer

Dienstag, 7. September 2010

Meine Kata-Liste

Ein guter Einstieg wäre es, glaube ich, erst einmal all die Kata aufzuzählen, die ich trainiere. Mein Karate kommt aus einer direkten Übertragungslinie, die ins historische Shōtōkan (1938-1945) zurückführt. Übrigens ist die Formulierung „historischer Shōtōkan“ keine Erfindung von mir, sondern sie wird von einigen japanischen Fachleuten verwendet. Aber das nur am Rande. Jedenfalls bedeutet das nichts anderes, als daß ich Kata trainiere, die auch im historischen Shōtōkan trainiert wurden. Allein von der äußeren Gestik her gibt es dadurch also bereits kleinere oder größere Unterschiede zu Kata-Versionen der heute populäreren Gruppen und Verbände, wie z.B. denen der JKA. Doch auf die werde ich später noch zurückkommen.

Hier erst einmal meine Kata-Liste:

1 – Ten no Kata
2 – Chi no Kata
3 – Taikyoku
4 – Heian Shodan
5 – Heian Nidan
6 – Heian Sandan
7 – Heian Yondan
8 – Heian Godan
9 – Tekki Shodan
10 – Tekki Nidan
11 – Tekki Sandan
12 – Bassai
13 – Kankū
14 – Jitte
15 – Hangetsu
16 – Enpi
17 – Gankaku
18 – Jion
19 – Hakkō
20 – Shūji no Kon
21 – Sakugawa no Kon
22 – Matsukaze no Kon
23 – Shirotaru no Kon

Im Laufe meines Karate-Lebens lernte ich natürlich noch andere Kata aus der Shōtōkan-Strömung, von Asai Tetsuhiko Sensei zusammengestellte Kata oder z.B. auch Kata aus der Shitō-Strömung. Aber aktiv, also regelmäßig, trainiere ich nur diese 23 Kata.

Es gab eine Zeit, in der ich in meinem privaten Keiko täglich alle Kata trainierte. Dieser Ansatz hat den Vorteil, daß eben jeden Tag alle Kata trainiert werden – aber auch weniger intensiv. Deshalb konzentriere ich mich seit einigen Jahren im privaten Training über einen bestimmten Zeitraum hinweg auf jeweils zwei, manchmal drei Kata, die ich dann natürlich viel öfter und tiefgründiger angehen kann. Genau das ist wichtig. Denn die Kata bildet die Grundlage des Karate, mit ihrer Hilfe wird der Körper ausgebildet, der als Basis für die technische Fertigkeit (Waza) des Karate dient. Bloß Kata-Abläufe um der Kata-Abläufe willen zu sammeln und im Gedächtnis zu behalten hat nichts, aber auch gar nichts mit Budō-Karate zu tun.

Natürlich gibt es da diese selbsternannten Kata-Experten, die stolz Kata aus gleich mehreren Ryūha „kennen“ und auch unterrichten. Für gelangweiltes, zahlungswilliges Publikum ist das bestimmt eine tolle Sache – bloß möchte ich an dieser Stelle nicht verhehlen, daß echtes technisches Verständnis (mal ganz abgesehen vom technischen Können) einen anderen Trainingsansatz erfordert.

In meiner Karate-Linie steht Shimoda Takeshi Sensei und dieser lehrte, daß Kata nicht zum Vorzeigen da sind. Zumindest im Budō-Karate gilt dieser Ansatz. Selbstverständlich gab und gibt es Kata, die allein zum Zwecke der Vorführung trainiert werden. Meist heißt es bei diesen Vorführungen dann, daß diese Kata besonders schön sei oder wirklich gekämpft wurde. O.k., jedem das seine. Für mein Trainingsziel ist so eine Kata nicht förderlich. Ich trainiere Kata als sehr introvertierte Angelegenheit, die mir helfen soll, eine nutzbringende Grundlage für mein Karate zu schaffen. Kata ist ein Trainingsinstrument, um Karate zu lernen. Und in diesem Sinne trainiere ich Kata.

© Henning Wittwer

Los geht’s...

Bis vor kurzem betrachtete ich mein persönliches Karate-Training als eben das – eine persönliche Sache, über die ich mich sicher nicht öffentlich zu äußern gedachte. Zum Teil warf ich nun diese Ansicht über den Haufen und möchte so zumindest ein paar Dinge, welche meine persönliche Karate-Praxis betreffen, dem ein oder anderen Interessierten online als Anregung oder gar Hilfestellung zugänglich machen.

Karate basiert auf einer theoretischen Grundlage, ohne deren Kenntnis ich heute nicht das trainieren würde, was ich trainiere. Wahrscheinlich hätte ich ohne das Wissen um diese theoretischen Grundlagen Karate an den Nagel gehängt. Ja, das klingt krass, ist aber wahr! Ich möchte diesen theoretischen Teil vom praktischen – der mich persönlich betrifft –  im Internet getrennt halten. Zur Theorie geht’s da lang: www.Gibukai.de

Mein Karate kann als Budō-Karate bezeichnet werden. Es stammt von einem genialen Lehrer, es beflügelt mich und bietet mir ein echtes Ziel. Worte sind manchmal schwer nachvollziehbar und werden von Leser zu Leser anders ausgelegt. Daher kann ich nicht über alle Elemente meines Trainings berichten. Wichtig ist, daß Sie diesen Punkt bitte immer im Hinterkopf behalten – ein Großteil meines Trainings besteht aus Partnerübungen, aus Kumite. Bloß genau dieser Teil kann unmöglich ohne Missverständnisse, allein mit Worten vermittelt werden.

Trotzdem, denke ich, gibt es genügend Dinge, die hier im Laufe der Zeit angesprochen werden...

© Henning Wittwer